Die Bezeichnung „Angelsachsen“ ist für viele eine historische Bezeichnung für England. Wer kennt nicht König Artus, König der Kelten. Der kämpfte mit seinem Schwert „Excalibur“ gegen die germanischen Angeln, Jüten und Sachsen. Die waren von der Elbe und der Nordsee als Eroberer auf die Insel gekommen. Die Germanen siegten. Unter König Alfred, einem Angelsachsen des 9. Jahrhunderts, kämpften sie nunmehr gegen die germanischen Wikinger aus Südskandinavien. Erstmals kam die Bezeichnung „Angelsachsen“ auf. Und schließlich wissen alle, dass König „Richard Löwenherz“ als Angelsachse gegen die Normannen kämpfte, gemeinsam mit „Robin Hood“. Auch die Geschichte von „Sir Wilfried von Ivenhoe“ ist weltbekannt. Was auf alle Fälle seitdem bleibt ist „Angelsachsen“, daraus „Angelland“ bis zur Bezeichnung „England“.
Dass aber auch die Region vom Harz bis zum Thüringer Wald und zum Erzgebirge einmal mit den Angeln und den Sachsen zu tun hatte, ist nur wenigen bekannt. Begonnen hatte es aber erstmal mit den Kelten in der Region im heutigen Mitteldeutschland. Bei Plinius sind keltische „Städte“ beschrieben wie Jena (Bicurgium), Leipzig (Callagia), Bernburg (Luppia) und andere. Und es soll eine Mitteldeutsche Hügellandschaft „Melibocus mons“ als bedeutendes Gebiet beschrieben worden sein. Bei Tacitus hießen die Einwohner Sueben, Semnonen und Hermunduren. Für die Zeit im 1., 2. und 3. Jahrhundert sind die Ortsnamen mit „-a“, „-aha“ oder „-he“ bekannt. Noch heute kommen die Namen in Artern („Aratora“), Wiehe („Wiha“), Nebra („Nenari“) oder Bad Bibra („Bibraha“) vor. Das waren Orte, die als solche um 780 im Verzeichnis des Klosters Hersfeld beschrieben wurden. Besonders die Hermunduren sollen südlich des Harzes gelebt haben. Das war eine hügelige Region unter der Bezeichnung „Duren“. Entstand damals aus „Duren“ die Bezeichnung „Thüringen“?
Während der Völkerwanderung änderte sich das mehr oder weniger. Die Hermunduren zogen mit den Langobarden und anderen über die Alpen in die „Lombardei“. Andere gingen aus dem Ostseeraum oder von der Oder weg, wie die „Burgunder“.
Da die Region südlich des Harzes bis zum Thüringer Wald sehr ertragreich war (und als „Goldene Aue“ und „Diamantene Aue“ noch immer ist), kamen die Angeln und Friesen aus Norddeutschland und die Warnen aus Mecklenburg hierher in das ehemalige Hermundurengebiet. Die Angeln zog es in den Südharz an die Unstrut, Saale bis etwa an die Weiße Elster. Berichtet man über Orte und Ortsteilen zwischen den heutigen Städten Sömmerda, Sangerhausen oder Allstedt bis nach Zeitz an der Weißen Elster und Bad Sulza an der Ilm, so gibt es viele solche mit den Endungen „- leben“ oder „-stedt“(„-städt“). Diese Orte sollen vor etwa 1 500 Jahren entstanden sein. Wie Oldisleben, Memleben oder Eisleben für „-leben“. Die Bezeichnung „..stedt“ war (und ist) aber besonders zu finden. Bekannt sind Allstedt, Bad Lauchstedt, Balgstädt oder Langeneichstedt. Weniger bekannt sind Wohlmirstedt und Allerstedt (Ortsteile von der Kaiserpfalz Memleben), Wolferstedt, Städten (Ortsteil von Balgstädt), Kachstedt und viele andere. Viele sind heute nur noch Ortsteile, aber meist erst in den letzten Jahrzehnten eingemeindet. Heute gehören zum Beispiel für Bad Sulza die Ortsteile Auerstedt, Flurstedt, Gebstedt (mit Schwabsdorf), Ködderitzsch, Neustedt, Reisdorf, Sonnendorf und Wickerstedt dazu, also vier mit -stedt. Die Bezeichnung „-stedt“ ist in der näheren Umgebung mehr als 150 Mal vorhanden. Das es offensichtlich aus der Zeit der Einwanderung der Angeln aus nördlichen Regionen kommt, merkt man durch Orte wie „Norderstedt“ bei Hamburg.
Das Gebiet der Angeln südlich des Harzes soll ursprünglich ein großes Gebiet gewesen sein. Die Hügellandschaft hieß aber nicht „Angeln“, sondern „Thüringen“. Erstmals erwähnt wurden die „Thüringer“ gemeinsam mit den Hunnen, den Ostgoten und den Franken(!), uner anderem mit dem „Sax“ als Waffe, 461 im Kampf gegen die Römernachfolger bei den „Katalaunischen Feldern“ im heutigen Frankreich. Waren das die germanischen Kämpfer der Angeln in der Landschaft Thüringen? Das zweite Mal kam es zu dieser Bezeichnung für das Jahr 531. In dem Jahr wurden die Thüringer von den Franken im Gebiet der Unstrut angegriffen und besiegt. Dazu gibt es Schriftstücke, in denen hieß, dass die Bezeichnung „Angeln“ mit der Bezeichnung „Thüringen“ verbunden ist. „Lex Angliorium et lex Werinorum hoc est Thotingorium“. Waren die Angeln ein Teil der „Ostgoten“ oder besteht das Königreich Thüringen aus den Herrschern („Lex“) der Angeln und denen der Warnen. Viele Archäologen sprechen darüber, dass das Königreich der Thüringer von Halberstadt im Norden bis zur Donau im Süden, und von der Werra im Westen bis zur Elbe im Osten erstreckt haben soll. Ob das wirklich ein Königreich war oder doch nicht und nur die Hügellandschaften so genannt wurden, ist ebenfalls nicht sicher nachweisbar. Wenn „Lex Angliorium …“ für „Thüringer Reich“ gelten würde, dann wäre „Angeln“ das Königreich zwischen Nordharz bei Halberstadt und der Donau.
Auch die Warnen waren in der Völkerwanderung von der Ostsee und dem heutigen Mecklenburg in die Region des heutigen Mitteldeutschland gezogen, etwa von der Saale und Elster bis zur Mulde und Elbe. Das wurde als „Werenofeld“ beschrieben. Die althochdeutsche Bezeichnung ist auch „Warjan“. Heute gibt es noch einen Ortsteil von Leipzig, Leipzig-Wahren.
Als die Thüringer, also die Angeln, von den Franken besiegt wurden, reduziete sich auch das Herrschaftsgebiet der Angeln. Dagegen wurde das Gebiet der Warnen seit dem 6. Jahrhundert wenig von den Franken genutzt, so dass bis zur Saale die Slawen in das Gebiet der Warnen nach und nach einzogen und eventuell vermischten. Westlich der Saale kamen immer mehr Besitzer der Franken ins Land Thüringen. Die Franken schufen neue Orte und Sicherheitsburgen gegen die besiegten Thüringer und aus dem Osten kommenden Slawen. Aus dieser Zeit sind die Orte mit „..burg“ oder „..berg“ als Bezeichnung entstanden.
Ursprünglich soll das Gebiet der Angeln nicht nur beiderseits der mittleren und unteren Unstrut gelegen haben. Am Ende aber existierte noch ein kleiner Gau, der „Engili Gau“, etwa zwischen Memleben und Balgstädt. Auf einer Karte zum „Engili Gau“ sind „Niumburg“ (Naumburg) und „Lipzick““ (Leipzig) dargestellt. Das bedeutet, dass der Gau Engili noch im 12. oder 13. Jahrhundert existiert haben muss, sofern die Karte nicht irgendwie erfunden wurde.
Eine entscheidende Frage ist, ob es eine Hauptburg der Angeln gab. In der o.g. Karte ist nichts genannt. Zwei Orte konnten eine Rolle spielen, Bad Bibra und Balgstädt. Bad Bibra könnte z.B. das Zentrum des dargestellten „Engili Gau“ gewesen sein. Schon Beginn des 9. Jahrhunderts wird „Bibraha“ urkundlich mit einer Burg erwähnt. Im 10. Jahrhundert, zur Zeit der Liudolfinger, ist Bibra ein Königshof. Allerdings gehörte er nicht direkt den Ottonen, sondern ihren Cousins, den Grafen „Billung“. Für sie stiftete Otto I. ein kaiserliches Fiskalgut „Bibra“, also ein Benediktinerkloster. Die Grafen Billung gab es als Sachsenherrscher hauptsächlich in der Nordmark, der heutigen Altmark. Vielleicht waren sie so Angeln oder sind aus ihnen entstanden. Um 1100 wird das Kloster zum Augustiner- Chorherrenstift umgewandelt. Die Burg ist sicher zur gleichen Zeit in eine Steinburg umgebaut worden. Im Bauernkrieg und noch einmal im Dreißigjährigen Krieg wurden Burg und Kloster zerstört. Der Innenbereich jedoch war fast vollständig erhalten, aber quadratisch als Gebäude umgewandelt. Noch heute sind wichtige Teile einschließlich einer Kapelle zu sehen. War das das ehemalige Angelzentrum? Eine zweite Möglichkeit für das ehemalige Zentrum der Angeln, der „Lex Angiolium“, könnte Balgstädt gewesen sein. Auf einer Karte ist Balgstädt nicht wie heute hauptsächlich an der B 176 zu finden, sondern höher am ehemaligen Flüsschen „Hasselbach“. Dem Namen nach ist Balgstädt wie andere Orte mit „..stedt“, allgemein aus der Zeit der Angeln, entstanden. Über Balgstädt wird einiges berichtet. So soll beim Überfall der Hunnen im 8. Jahrhundert der Ort Balgstädt die Angreifer besiegt haben. In der Zeit der Ottonen war Balgstädt mehrfach ein Königshof, in dem Urkunden besiegelt und damit für die Geschichte erhalten wurden.
Zur gleichen Zeit entstanden neben den Angeln auch die sogenannten „Sachsen“. Sie hatten Nachbarn wie die Friesen oder die Franken. Die Bezeichnung gab es nicht von Anfang an. In der Region zwischen Elbe, Weser und Saale nördlich des Harzes waren zum Beispiel die „Chauken“. Die Chauken wurden als friedliche Bewohner beschrieben. Schon Tacitus soll sie als „hoch“ im Sinne von „hoch im Norden lebend“ mit dem Namen „Chauci maiores“ benannt haben. Sie seien „Ingacvonen“, also unter bestimmten germanischen Göttern. Etwa ab dem Jahr 150 wurden die „ Chauken“ mit den „Rendigenern“ und den „Arionen“ erstmals als gemeinsame Stammesgruppe „Sachsen“ bezeichnet. Der Name soll aus der Beschreibung des „Sax“, Althochdeutsch „Sahs“, entstanden sein, einem besonderen, einseitigen Schwert. Untersuchungen haben ergeben, dass das Schwert bis zum 10-fachen Schneidefahren, vergleichbar mit dem japanischen Samurai, hergestellt wurde. Der Sage nach wird „Wieland der Schmied“ beschrieben. Ab der vorchristlichen Zeit soll das Sax bis ins 10. Jahrhundert die vorherrschende Waffe der Germanen gewesen sein, zwischen England und Skandinavien. Besonders die Krieger der Chauken sollen dafür berühmt gewesen sein. Die Bezeichnung „Chatten“ oder „Chauken“ kommt ab dem 4.Jhd., also der Völkerwanderung, in Sagen vor. Eine Sage von Freyburg erzählt, dass die Thüringer mit ihrem König Bisino gegen die „Chatten“ (Chauken?) kämpften. Die Thüringer gewannen. Damit besiegten die Thüringer, also die ehemaligen Angeln, die Sachsen. Das heißt, im Saale-Unstrut-Gebiet gab es kein „Angelsachsen“ wie in England. Allerdings wollte der Thüringer König Bisino die Sachsen in sein Herrschaftsgebiet einbeziehen. Im Gegensatz zu den Priestern der Göttin Freya wollte Bisino die Besiegten nicht töten, sondern unterordnen. Das wollten aber offensichtlich die Sachsen nicht. Das geschah in einem Kampf der Franken gegen die Thüringer unter ihrem König Hermanifried, dem Sohn Bisinos, im Jahr 531. Die Franken suchten Verbündete gegen die Thüringer. Die Sachsen kamen, um die Schmach König Bisino ein paar Jahrzehnte vorher zu widerlegen. Wenn die Sachsen schnell durch den Harz kommen wollten, war der beste Weg der, der noch heute existiert, nämlich von Quedlinburg über Harzgerode an die Helme bei Wallhausen und dann bei Roßleben an die Unstrut. Wo der eigentlich Endkampf 531 war, ist heute noch ein Rätsel. Aber nach dem Sieg der Franken bekamen die Sachsen das Land oberhalb der Unstrut. Vielleicht war es das Gebiet, das heute noch als westlichster Teil zu Sachsen-Anhalt gehört. Jahrhunderte wurde dieses Land oder der überwiegende Teil als „Hassegau“ bezeichnet. „Hassegowe“ ist auf mehreren Karten zu finden, der Gau „Hasse“. Das wird manchmal als Besitz der „Hessen“ erwähnt. Aber hat das nicht eher etwas mit den „Chauken“ oder „Sahsen“, also Sachsen, zu tun? Der Gau war jedenfalls ein Gebiet zwischen etwa Burgscheidungen und Merseburg, zwischen Seehausen und der Unstrutmündung in die Saale bei Goseck. Als die Herzöge der Sachsen unter der Bezeichnung „Ottonen“ im 10. Jahrhundert als Könige herrschten, waren die Thüringer als Herzöge erst Verbündete, dann ein Herzogtum. Also lebten (und leben) die Angeln und die Sachsen als „Angelsachsen“ auch im Saale-Unstrut-Gebiet, nur eben nicht unter der Bezeichnung „Angelsachsen“. Und im Gegensatz zu England gibt es keine Burgen aus Stein unter den Sachsen während der Ottonenzeit.